Ein Rückblick

Wer heute die chirurgische Abteilung eines Krankenhauses betritt, kann sich kaum noch vorstellen, unter welchen Bedingungen die Ärzte zum Zeitpunkt der Gründung unserer Vereinigung im Jahr 1898 arbeiten mussten. Allein aus diesem Grund – und aus Gründen des Respekts vor der Arbeit mehrerer Chirurgengenerationen – empfiehlt sich ein kurzer Rückblick.
Dabei geht es nicht nur darum, Vergangenes zu würdigen und im Bewusstsein präsent zu halten. Vor allem sollte es uns darum gehen, aus dieser großen Vergangenheit heraus die Motivation für die Unterstützung gegenwärtiger und künftiger Entwicklungen zu ziehen. Denn Zukunft und Herkunft sind aufs Engste miteinander verknüpft.

Gründung unserer Vereinigung als erste regionale Chirurgengesellschaft in Deutschland

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war gekennzeichnet durch rasche Fortschritte in Technik und Industrie. Parallel vollzog sich ein ebenso stürmischer Wandel in der Medizin, insbesondere aber in der Chirurgie. Entscheidend für deren Entwicklung waren vor allem die zuverlässige Schmerzausschaltung bei chirurgischen Eingriffen und die Einführung der Antiseptik. Die Krankenhäuser waren auf die neuen Entwicklungen weder organisatorisch noch personell vorbereitet, geschultes Personal in den Operationsräumen gab es kaum.

Diese stürmischen Entwicklungen in der klinischen chirurgischen Medizin und die großen Mängel in den damaligen Krankenhäusern beunruhigten den Krefelder Chirurgen Carl Erasmus und seinen alten Freund Ludwig Heusner in Barmen. Die beiden erörterten die Probleme permanent und suchten nach praktischen Lösungen.  Erasmus und Heusner besuchten mit großem Interesse regelmäßig die Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in Berlin. Aus zwei Gründen reifte bei ihnen und einigen Kollegen am Niederrhein und im Ruhrgebiet der Gedanke, eine eigene regionale Vereinigung für die in diesem Gebiet arbeitenden Chirurgen zu gründen.

Der erste Grund zielte auf die Bündelung medizinischer Interessen auf regionaler Ebene, um eine bessere Ausstattung der Krankenhäuser zu erreichen. Wie bereits erwähnt, waren die meisten Krankenhäuser in ihrer Bausubstanz völlig veraltet und den stürmischen Entwicklungen der damaligen Medizin nicht mehr dienlich. Da die Vorstöße zur Abhilfe seitens der leitenden Krankenhausärzte bei den Gemeindevertretungen und zuständigen Kuratorien oftmals auf taube Ohren stießen, bedurfte es harter und langwieriger Anstrengungen, um Fortschritte zu erzielen. So argumentierte der engagierte Krefelder Krankenhauschirurg in seinem Bericht über die ersten 25 Jahre der Vereinigung Niederrheinisch-Westfälischer Chirurgen: „Hieraus entstand das Bedürfnis einiger im niederrheinisch-westfälischen Bezirk ansässigen Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, sich aneinander anzuschließen, miteinander Pläne und Forderungen zu besprechen, bereits Erreichtes und Ausgeführtes gemeinsam zu besichtigen.“

Der zweite Grund, der für eine regionale Chirurgenvereinigung sprach, erwuchs aus den Erfahrungen während des Deutschen Chirurgenkongresses in Berlin. Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie zählte im Jahre 1898 bereits über 900 Mitglieder. In diesem Zusammenhang sei wiederum Erasmus zitiert: „Wer die Überfüllung des Berliner Kongresses selbst erfahren hatte und am eigenen Körper manchmal als unheimlich empfand, wird es verstehen, dass mancher Chirurg den Wunsch hegte, in kleinerem Kreise zusammenzukommen, um fachliche und wissenschaftliche Aussprache zu pflegen.“

Diese beiden Beweggründe waren für Carl Erasmus steter Antrieb. Er besprach mit seinem alten Freund und Fachkollegen, dem Barmer Chirurgen Ludwig Heusner, die Probleme und Schwierigkeiten einer regionalen Vereinsgründung. Beide Chirurgen waren letztendlich von dieser Gründungsidee so überzeugt, dass sie den entscheidenden Schritt wagten. Mit einem Rundschreiben im Frühjahr 1898 luden sie die im niederrheinisch-westfälischen Raum wohnenden Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie am 8. Mai 1898 in das Hotel Monopol in Düsseldorf zur Gründung einer eigenständigen regionalen Chirurgenvereinigung ein. Die an diesem Tag ins Leben gerufene Vereinigung Niederrhein-Westfälischer Chirurgen ist „die erste und mit Abstand älteste aller regionaler Chirurgenvereinigungen (…), die in Deutschland neben der allumfassenden Deutschen Gesellschaft für Chirurgie gegründet wurde.“ (v. Haberer und Schloeßmann 1938)

Anlässlich der 165. Tagung unserer Vereinigung und anlässlich der 100. Wiederkehr ihrer Gründung im Jahr 1998 in Bonn erschien eine umfangreiche historische Recherche mit dem Titel: „100 Jahre Vereinigung Niederrheinisch-Westfälischer Chirurgen.“ Die Autoren waren unsere Mitglieder und Kollegen, die Professoren Brünner, Eigler und Kort. Mit großem Engagement haben sie die Geschichte unserer Vereinigung und deren Konfrontation mit den tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen im 20. Jahrhundert in einer Art zusammengefasst und festgehalten, die interessant, teilweise sogar spannend zu lesen ist und den Respekt gegenüber unseren chirurgischen Wegbereitern aufrecht zu erhalten hilft.  Das Buch ist weiterhin erhältlich z.B. über die Deutsche Nationalbibliothek.

Erwähnenswert ist auch die Geburt unseres Emblems. Die Entwicklung ist mit dem Namen von Professor Esser aus Mönchengladbach verbunden. 1986 fertigte er die ersten Entwürfe, 1987 wurde das Emblem in Mönchengladbach offiziell eingeführt und ist seither das äußere Zeichen unserer Vereinigung.

Im März des Jahres 2024 beschloss die Mitgliederversammlung die Umbenennung in

Niederrheinisch-Westfälische Gesellschaft für Chirurgie

und die Anpassung des Emblems.